Transatlantisches Freihandelsabkommen: Segen oder Fluch für die VerbraucherInnen?

Verbraucherzentrale Südtirol befürchtet Vorrang für Wachstumsinteressen


Seit Juli 2013 verhandeln hinter verschlossenen Türen die EU und USA über das transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP). In wenigen Wochen soll es in die entscheidenden Verhandlungsrunden gehen. Ein Freihandelsabkommen kann durchaus eine Chance für Wirtschaft und Verbraucher sein, wenn es zu einem gerechteren und sichereren Markt für Verbraucher in Europa und den USA führt und eine ressourcenschonende Wirtschaftsweise fördert. Die Verbraucherzentrale Südtirol befürchtet jedoch, dass die Verhandlungspartner Wirtschafts- und Wachstumsinteressen den Vorrang vor Nachhaltigkeits- und Verbraucheranliegen geben. Denn sowohl Europa als auch die USA befinden sich zunehmend im Wettbewerb mit aufstrebenden Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien. Für VerbraucherInnen geht es dabei um viel: gentechnisch veränderte Lebensmittel, Datentransfer, Sicherheitsstandards bei Autos, Finanzprodukte oder Nachhaltigkeitskriterien für öffentliche Ausschreibungen können betroffen sein.

Kritische Punkte sind beispielsweise die Hygiene- und Sicherheitsstandards für Lebensmittel und Agrarprodukte. Diese sind auf beiden Seiten des Atlantiks höchst unterschiedlich. Während in den USA zum Beispiel gentechnisch veränderte Produkte ohne Deklaration zum Verkauf stehen oder Hühnchen nach der Schlachtung im Chlorbad desinfiziert werden, ist dies in Europa nicht zulässig. Umgekehrt wollen amerikanische Verbraucher Rohmilchkäse oder europäisches Rindfleisch nicht. Das gilt es zu respektieren. Sollten über das Freihandelsabkommen aber die jeweiligen Herstellungs- und Behandlungsprozesse sowie Produkte gegenseitig anerkannt werden, haben europäische und amerikanische Verbraucher verloren.

Dies gilt auch für andere Bereiche, wo die Standards ebenfalls unterschiedlich sind, etwa in der Chemikalien- und Umweltgesetzgebung, bei der Zulassung medizinischer Produkte oder bei den Rechten des geistigen Eigentums. Offen ist derzeit noch, ob sich das Abkommen auch mit Finanzdienstleistungen befasst. Falls ja, gilt es darauf zu achten, dass über das Abkommen nicht Regeln aufgeweicht werden, die nach der Finanzmarktkrise zur Stabilität der Finanzmärkte und zum Schutz der Anleger und Verbraucher eingeführt wurden. Wie in einigen anderen Handelsabkommen soll auch das transatlantische Freihandelsabkommen Investoren Sonderrechte einräumen. Danach könnten sie Staaten – und damit die Steuerzahler – auf Kompensation „verklagen“, wenn beispielsweise ein Staat ein Gesetz erlassen hat, das nach Ansicht des Investors nicht im Einklang mit dem Handelsvertrag ist und seine Investitionen „in Frage stellt“. Verhandelt wird dieser Streit allerdings nicht vor einem Gericht, sondern außerhalb des Justizsystems, nämlich vor einem Schlichtergremium, das nicht öffentlich verhandelt.

All diese Bereiche sind von hohem öffentlichem Interesse und gehören daher auch öffentlich debattiert. Von einer transparenten Verhandlungsführung kann aber bislang nicht geredet werden. Relevante Informationen zum Verhandlungsfortschritt sind Mangelware. Eine Diskussion über die Folgen des Freihandelsabkommens und das Einbringen von konstruktiven Alternativvorschlägen ist damit bislang nicht möglich. Darauf drängen vor allem Nichtregierungsorganisationen, darunter auch die Verbraucherverbände. Gefordert sind vor allem das Europaparlament, die Parlamente der Mitgliedsstaaten und die Zivilgesellschaft.


Medien-Information
Bozen, 07.05.2014