“Pinto”-Gesetz:
Neuheiten für Schadenersatz bei zu langsamen Gerichtsverfahren


Die definitive Version des “Decreto Sviluppo” hat auch das Pinto-Gesetz (G. Nr. 89/2001) abgeändert. Zur Erinnerung: dieses Gesetz sieht angemessene Entschädigungen für all jene Fälle vor, in welchem die „angemessenen Fristen“ in einem Gerichtsverfahren überschritten wurden, und legt auch fest, wie man eine Verurteilung des Staates verlangen und durchsetzen kann.

Das Pinto-Gesetz setzt die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (unterzeichnet in Rom am 4. November 1950) um, und zwar im Besonderen den Art. 6, Absatz 1, der folgendes vorsieht: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird“.

Was aber versteht man unter „angemessener Frist“ in einem Gerichtsverfahren?

Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist angemessen, wenn:
  • die erste Instanz 3 Jahre nicht überschreitet;
  • die Berufungsinstanz 2 Jahre nicht überschreitet;
  • vor dem Kassationsgericht 1 Jahr nicht überschritten wird.

Im Falle einer Zwangsvollstreckung ist die Dauer angemessen, wenn sie 3 Jahre nicht überschreitet. Bei einem Konkursverfahren dürfen hingegen 6 Jahre nicht überschritten werden. Auf jeden Fall gilt die angemessene Frist als eingehalten, wenn das Urteil unwiderruflich innerhalb von 6 Jahren feststeht. Unterhalb dieser Dauer wird keine Schadenersatzanfrage in Betracht gezogen.

Wann kann der Rekurs eingereicht werden?
Die Anfrage auf Schadenersatz aufgrund überlanger Prozessdauer muss bei sonstigem Verfall des Rechts innerhalb von 6 Monaten nach Ergehen eines rechtskräftigen Urteils, das den Prozess definitiv abschließt, erfolgen. Es ist nicht mehr möglich, bereits während des Prozesses aktiv zu werden. Mit anderen Worten: sollte ein Verfahren auch 20 Jahre dauern, muss der Betroffene das Ende abwarten, und kann nicht vor dem Abschluss eine Schadenersatzforderung stellen. Im Sinne der Berechnung zählen jene Zeiten nicht, in denen der Prozess ausgesetzt ist, sowie den Zeitraum zwischen dem Tag, an welchem die Frist für die Anfechtung anläuft, und dem Tag der Anfechtung.

Wer entscheidet über den Rekurs?
Die Anfrage auf Schadenersatz wird durch einen Rekurs an einen Einzelrichter beim Berufungsgericht (Vorsitzender des Berufungsgerichts oder nominierter Staatsanwalt) eingereicht; dieser entscheidet mit einem begründeten Dekret, innerhalb der reduzierten Frist von 30 Tagen ab Einreichung (früher 4 Monate vor dem Kollegialgericht). Wird die Anfrage auf Schadenersatz angenommen, verfügt der Einzelrichter die sofortige Zahlung des Schadenersatzes, ohne den früher angewandten Aufschub von 4 Monaten für die Exekutiv-Phase.
Wird der Antrag abschlägig beschieden, kann er nicht erneut eingereicht werden; man kann nur gegen den abschlägigen Bescheid opponieren, und zwar innerhalb von 30 Tagen ab Erhalt der Mitteilung oder Zustellung des Dekrets, bei sonstigem Verfall des Rechts. Zuständig ist dafür das Berufungsgericht, welchem der Einzelrichter, der das ablehnende Dekret ausgestellt hat, angehört. Das Gericht erlässt ein vor dem Kassationsgericht anfechtbares Dekret (Frist: 4 Monate ab Einreichung der Opposition).

Wie hoch ist die angemessene Wiedergutmachung?
Laut Gesetz beträgt diese zwischen 500 Euro und 1.500 Euro für jedes Jahr (oder Fraktion eines Jahres, jedoch mehr als 6 Monate), welches über der angemessenen Dauer liegt. Die Wiedergutmachung kann niemals höher sein als der Streitwert, bzw. der vom Richter festgelegte Rechtswert.

Wann steht kein Schadenersatz zu?
Mit dem Gesetz wurden auch eine Reihe von Fällen aufgelistet, in denen kein Schadenersatz verlangt werden kann:
  • die unterliegende Partei, die laut Art. 96 ZPO aufgrund mutwilliger Klage verurteilt wurde;
  • falls der Antrag des Klägers angenommen wurde, jedoch in geringerem Ausmaß als im Schlichtungsvorschlag angeführt;
  • falls das Urteil vollinhaltlich dem Schlichtungsvorschlag entspricht;
  • falls die Straftat aufgrund von Verzögerungsmaßnahmen der Partei verjährt ist; oder wenn der Angeklagte keinen Antrag auf schnellere Abwicklung des Strafprozesses innerhalb von 30 Tagen ab Überschreitung der angemessenen Fristen laut Art. 2 bis dieses Gesetzes gestellt hat;
  • und immer dann, wenn die Prozessgewalt dahingehend ausgenutzt wurde, um eine ungerechtfertigte Verzögerung der Zeiten des Prozesses herbeizuführen.

Nicht zu unterschätzen ist des weiteren die Einführung der Möglichkeit, den Rekurssteller zu strafen: und zwar immer dann, wenn der Antrag für den entscheidenden Richter unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Der Antragsteller muss dann einen Betrag von nicht weniger als 1.000 Euro und nicht mehr als 10.000 Euro an die Kasse für Geldbußen (Cassa delle Ammende) zahlen.

Medien-Information
Bozen, 18.12.2012